encore sur les faux tableaux de l’avant-garde russe
Süddeutsche Zeitung Nr. 136, Samstag, 15. Juni 2013 FEUILLETON 13 |
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VON CATRIN LORCH
Russisches RouletteMuseen und Kunsthistoriker kapitulieren vor der Flut von gefälschten Bildern der sowjetischen Avantgarde. Beobachtungen auf einem sehr gefährlichen MarktEs ist ein Coup, den das Bundeskriminalamt am Donnerstag der Presse melden konnte: Man habe einen Ring zerschlagen, der Kunstwerke der so- wjetischen Avantgarde gefälscht habe, darunter Werke von Natalia Goncharova, Kasimir Malewitsch, Wassily Kandinsky und Michail Larionov (SZ vom 14.6.). „Nach der- zeitigem Ermittlungsstand haben die Beschuldigten seit 2005 insgesamt über 400 mutmaßlich gefälschte Kunstgemälde für vier- bis siebenstellige Eurobeträge verkauft“, heißt es in der Pressemitteilung. Mehr als hundert Beamte des Bundeskriminalamts durchsuchten 28 Wohnungen, Geschäftsräume, Lager und Kunstgalerien unter anderem in München, Wiesbaden und Köln. Zwei Männer wurden festgenommen, sie gelten als Kopf einer international agierenden Bande von sechs Kunstfälschern und sollen allein in Spanien und Deutschland Fälschungen für mehr als zwei Millionen Euro verkauft haben. Nach dem Fall des vor zwei Jahren verurteilten Wolfgang Beltracchi ist dies erneut ein Beleg, in welchem Ausmaß Kunst gefälscht und gehandelt wird. Doch warum ermitteln jetzt Kriminalbeamte verdeckt, erbitten Amtshilfe in Israel und der Schweiz? Warum der Aufwand? Wer sie- benstellige Beträge übrig hat, um sie in zweifelhafte Kunst zu investieren, kann nicht unbedingt auf Mitleid rechnen. Doch richten die in die Kunst eingeschleusten Bilder mehr an, als dass ein paar Betrogene die Keilrahmen diskret in den Keller schaffen müssen. Und nicht nur gierige Sammler, die glauben, günstig das ergattern zu können, was auf Auktionen für zweistellige Millionensummen gehandelt wird, haben den Schaden. Wo es um die sowjetische Avantgarde geht, zerstört kriminelle Energie eines der schönsten und wichtigsten Kapitel der jüngeren Kunstgeschichte. Denn vor der Flut der Fälschungen kapitulieren Wissenschaftler, Museumsdirektoren und Kuratoren. Warum ermitteln Kriminalbeamte verdeckt, erbitten Amtshilfein Israel und der Schweiz?Wer in diesem Feld recherchiert, hört viele Geschichten, allerdings will kaum jemand zitiert werden. Der Museumsmann, der seine Vorbehalte gegenüber einer Sammlung äußert, hat wenige Stunden nach dem Gespräch eine Unterlassungsklage auf dem Tisch liegen. Sein Kollege, der als Wissenschaftler lange als internationale Instanz galt, hat sich aus seinem Fachgebiet zurückgezogen – es gebe einfach zu viele Fälschungen. Wieder ein Kollege erzählt von Unfällen, denen Kunsthistoriker erliegen, die Fälschern in den Weg geraten. Dass es viele, konkurrierende Fälscherringe gebe, erklärt ein Sammler, der die Szene kennt, auch weil er lange in Moskau lebte. Auch er will nicht zitiert werden. Wer also diesen grauen Markt beschreiben will, das Umfeld, in dem wenig abgesicherte Kunst gehandelt wird, folgt gerne einer Einladung in ein Zollfreilager bei Zürich, wo sich während der Art Basel ein paar Interessierte eine Kollektion zeigen lassen. Der in Frankfurt lebende Sammler Michael Kroll sagt, die Gemälde aus dem kleinen Holzverschlag, die jetzt entlang der Wände auf dem Boden aufgereiht sind, habe er überwiegend von seinem Vater geerbt. Fast schüchtern hebt er eins nach dem anderen auf, präsentiert sie von vorne und von der Rückseite, wo viele signiert sind, auf anderen stehen noch Zahlen – die alten Preise – oder die Markierung einer Ausstellung. Gontscharowa, Malewitsch, El Lissitzky, ein zusammengefalteter Wandteppich von Lyubov Popova, Leinwände von Iwan Puni, Alexandra Exter, Rodtschenko. Vor Kroll stehen ein Kunstfreund aus Paris, der ihm erst gestern auf der Art Basel vorgestellt wurde, der ehemalige Duisburger Museumsdirektor Raimund Stecker, eine Kunstvermittlerin, bald treffen noch ein paar Gäste aus der Schweiz ein. Sie alle sind skeptisch – andererseits: Die Bilder sehen phantastisch aus, sind gut erhalten, wo die Rückseiten etwas schief in den Rahmen sitzen, wirkt die Kunst nur umso authentischer. Sie alle möchten ja glauben, was ihnen erzählt wird. Dass die Gemälde schon vor dem Zweiten Weltkrieg mit dem polnischen Vater nach Israel ausreisten, dass hier ein ungehobener Schatz liegt. Auch weil ihnen vorsichtig angezeigt wird, dass dieser jetzt zwar in eine Stiftung eingebracht wird, es aber, vor allem zur Finanzierung von wissenschaftlichen Untersuchun- gen, durchaus geschehen könne, dass das eine oder andere Werk demnächst doch verkauft werden muss. Was für einen Sammler bedeutet: Man kann hier, jen- seits der ausgeleuchteten Auktionssäle, vielleicht günstig etwas haben. Vermeintliche Expertisen sind Hinweise zur Lagerung oder zum ErhaltungszustandKnapp einhundert Bilder stehen bereit, mehrere Leinwände von Alexandra Exter, ein noch nie ausgestelltes Selbstbildnis von Rozaleva als Herzdame, El Lissitzkys Abstraktionen auf Holz und Leinwand, ein figurativer Malewitsch. „Natürlich wäre die Sammlung eine Sensation, wenn sie echt ist“, sagt Reinhard Spieler, Direktor des Wilhelm-Hack-Museums in Ludwigshafen, bei dem sich der Sammler vor einigen Jahren mit einem Ausstellungsprojekt vorgestellt habe. Doch er hatte seine Zweifel, angefangen bei der „unseriösen Visitenkarte“. Dass niemand die Sammlung kannte, sei zudem „ungewöhnlich“. Schließlich wurde die Kollektion dann zum Jahreswechsel unter dem Titel „Revolution in der Kunst. Russische Avantgarde um 1920“ im Museum Moderner Kunst Wöhrlen in Passau vorgestellt. Doch die Schau schlug keine Wellen – auch die inter- nationale Kritik ist vorsichtig geworden, wo Spektakuläres aus anonymen Sammlungen ausgestellt wird. Jetzt erinnert nur noch eine Broschüre und die Website an die Association Alexandra Exter, deren Vorsitzender Andrei Kakov seine Vorbehalte gegen die Schau formuliert. Der in Paris lebende Kunsthistoriker ist international geschätzter Experte für Revolutionskunst und wird als Autor häufig um wissenschaftliche Katalogbeiträge gebeten, weswegen er behaupten kann, die Akteure der Szene seit Jahren zu verfolgen. „Es geht ja inzwischen nicht mehr um Einzeltäter sondern um Fälscherringe, die ganze Lastwagenladungen gefälschter Bilder vermarkten. Es ist eine Industrie geworden wie falsche Louis-Vuitton-Handtaschen in China.“ Und auch wenn man eigentlich nicht nach Fotos urteilen sollte, die gesamte Ausstellung sei, er prustet am Telefon, für ihn ein Witz. Die Malewitsch-Blätter hätten leider keine Maße, er vermutet, dass diese gar nach dem von ihm erstellten Werkverzeichnis gefälscht sein könnten. „Sehen aber aus, als habe man sie vergrößert. Das machen Fälscher gerne, dann sind die Arbeiten teurer.“ Doch was soll ein Kenner tun, der von der Ausstellung einer Sammlung wie der Luzerner Russian Avantgarde Art Foundation (RAAF) erfährt, die laut Website von Michael Kroll gegründet wurde? Wo es darum geht, das ihm anvertraute Werk Alexandra Exters zu verteidigen, fühlt er sich zum Handeln verpflichtet: In Tours wurde vor vier Jahren nach seinem Einschreiten von der Polizei eine monografische Schau der Künstlerin geschlossen. Für den aus Bulgarien stammenden Andrei Nakov ist es vor allem unverständlich, warum deutsche Museen sich überhaupt mit solchen Sammlungen beschäftigen. Dass man in Ländern, in denen Museumskuratoren nicht mehr als umgerechnet 400 Euro monatlich verdienen, diese bestechen kann, wundere ihn nicht – immerhin sei es inzwischen fest angestellten Kunsthistorikern in Russland untersagt, Expertisen zu schreiben. „Die Werkschauen bedeutender russischer Avantgarde-Künstler in Tschechien, Bulgarien oder Rumänien sind natürlich unseriös“, sagt er. Aber weltweit hoch geachtete deutsche Museen? „Wenn ein Museum wie Passau dann eine Broschüre herausgibt, dann sind die Werke in der Welt, gewaschen, mit Zertifikat sozusagen.“ Dabei sei doch offensichtlich ein Haus, das weder über eine Klimaanlage noch ausgefeilte Sicherheitstechnik verfüge, keine Adresse für solche Schätze. Dass die Ausstellung einer unbekannten Sammlung zudem noch mit Leihgaben – Werken von Naum Gabo oder Tatlin aus dem renommierten Lehmbruck-Museum
„Es ist eine Industrie geworden, wie falsche Vuitton-Handtaschen in China“: Ein gefälschter Malewitsch, vom Bundeskriminalamt enthüllt.FOTO: FREDRIK VON ERICHSEN/DPA
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