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Brüssel, Oktober, 2024
Leserbrief und Aufruf
„zur Verhinderung des Abrisses des Auditorium Maximum der Hochschule Düsseldorf, ein flacher Kubus-Bau mit der ihn umfassenden Fassadengestaltung von Günter Fruhtrunk aus dem Ende der 60iger Jahre“.
Augenblick und Inbegriff“ – Die Kunst von Günter Fruhtrunk[1]
Ich möchte eine Ergänzung zum Verständnis der Kunst Günter Fruhtrunks geben und der in seiner Kunst enthaltenen ethischen Werte; dies im Hinblick den Abriss dieses einzigartigen Gebäudes „Auditorium Maximum der Hochschule Düsseldorf“ zu verhindern. Der Erhaltung des Kubus mit den realisierten Mosaik-Fassadenwänden, in den 60iger Jahren von Günter Fruhtrunk gestaltet, gilt mein Schreiben.
Fruhtrunks ethisches Engagement, das schon in frühen Jahren seines Schaffens deutlich ist und die konsequente Sprache seiner Ästhetik und seines Bilderverständnisses der konkreten Malerei wird nicht nur in seinen Texten zur Motivation und den Titeln seiner Bilder deutlich, sondern ist ein Grundsätzliches
„Wiederstehen gegen maschinewerdendes und gewordenes Denken“*1.
Titel und Text zu seinem Bild „Suprematie“ von 1974:
„Flut der Auflehnung der Gefühle zum Handeln gegen unterdrückende Macht, verdoppelt durch die der Technologie, die den Menschen direkt aufs Korn nimmt.“*1
Dies kritisches Bewusstsein verdeutlicht seinen ethischen und gesellschaftspolitischen Anspruch. Seine Kritik an den die Freiheit des Menschen zerstörenden Tendenzen, dem blinden Fortschrittsglauben, begleitet von einem Konsumverhalten einer Wegwerfgesellschaft, lässt uns aufhorchen und unsere Sinne anspannen in einer beunruhigenden Entwicklung der Welt.
Der Kubus wird durch die Fassadengestaltung Günter Fruhtrunks zum Appell an das eigenständige Sehen des Betrachters: der Augenblick des Sehens und der Inbegriff unseres Denkens und Fühlens. Der gesamte Bau mit den farbigen Fassadenwänden ist ein unzertrennbares und zusammengehöriges Kunstwerk. Es ist nicht angeheftete Kunst an eine Fassade. Fruhtrunks Mosaikfassadenwände umspielen und intensivieren die „archaische“ Form des Kubus. Rhythmus und Farbe, die beinahe miniaturartige Abfolge der Mosaikfliesen (-kacheln) und die wechselnden Seiten des Kubus bringen den Prozess unseres Sehens in Bewegung. Aus der Nähe in ihrem sich öffnenden Konstrukt zu großer bewegender Oberfläche der Fassade, aus der Ferne ein großer Farbenklang, wie ein vitaler Gongschlag, der unsere Augen wie Musik einer Ouvertüre empfinden lässt. Von einer Fassade zur anderen empfinden wir die musikalische Variation, die Öffnung in neue Themen, die verwandt bleiben und die vier Seiten der Fassaden rhythmisch, mit behutsamer Umsicht, zueinander führen. Es handelt sich nicht, wie oft geschrieben wird, um Streifen, sondern es sind expressive rhythmische Farbbahnen oder Vektoren. Fruhtrunks sensitive und aufrüttelnde autonome Ästhetik fordert unseren Blick (den Augenblick des Sehens) und die Verinnerlichung (den Inbegriff des Gegebenen) des Gesehenen heraus. „Augenblick und Inbegriff- Erinnerungen an Günter Fruhtunk“ ist der Titel meines 2023/24 geschriebenen, noch nicht veröffentlichten, Buches. Die einzigartige Setzung der Farben ultramarinblau, rot, weiß, schwarz und die Intuition des Rhythmus, die Staffelung und musikalisch-fugenartige Komposition der Fassadengestaltung erscheint einfach, doch ist sie komplex und fordert die Aufmerksamkeit der Wahrnehmung. Sie vibriert durch die lasierten – glänzenden – farbigen Fliesen. In seinen späten Bildern wollte Fruhtrunk seine autonome Malerei als Sinnbilder verstanden wissen. Sie sind Appell der Existenz des Lebens jedes Menschen „Sinnenfundamente“ Bildtitel 1982 *2.
An dieser Stelle möchte ich aus Günter Fruhtrunks Werkverzeichnis*2 zur ethischen Begründung im Zusammenhang des Geschenks der Bundesrepublik an die Vereinten Nationen New York 1978 / Quiet Room zitieren:
„Die Themen, Formen, Melodien und Episoden folgen einander wie Schicksalswendungen einer Lebensgeschichte, mannigfaltig und doch logisch abfolgend, ein bildnerisches Bild wächst aus dem anderen hervor, sie sind nicht einfach nebeneinandergestellt.“
Dieser Satz fasst das Wesentliche der frühen Werke ebenso wie der späten Werke von Günter Fruhtrunk zusammen.
Dieser Prozess des Sehens des „Farbmosaik“ des Kubus, des bewegenden Denkens und Fühlens, hat eine dem Menschen beinahe wohltuende, zur Verantwortung, zur Präsenz, zum Engagement appellierende Wirkungskraft. Fruhtrunk antwortet im Gespräch mit Eugen Gomringen auf die Frage: „Welche Rolle spielt das Bild in ihrem Leben?“
„Ich bin Maler, Bilder sind Bodensatz, Niederschlag, nicht diskursive Spur. Nicht will ich damit sagen nur reagieren. Bilder sind Sprung, Ruf, Ruhe und Spannung und zugleich Kritik daran.“ *3
Dieser energetische konkrete Rhythmus ist in den Wandmosaiken des Kubus zu erfahren. Eine Wirkungskraft des Lebendigen, die uns sichtbar erhalten bleiben muss und Widerstand leistet gegen technologische Wagnisse ohne Verantwortung in unserer Welt.
Man kann sich fragen, ist Fruhtrunks Kunst ein Appell für den Frieden in der Welt? Vielleicht ist die Art und Weise seiner konkreten, autonomen, expressiven Kunst seine Antwort eines tiefen existentiellen Engagements für den Frieden in dieser Welt. Die Kriegsverletzungen, an denen er lebenslang litt, haben ihn zu dieser geistigen konsequenten Sicht geführt. In ganz frühen Bildern „Mahnender über Toten“ („See der Toten“), 1944-45, *2, zeichnet er in expressionistischer (realistischer) Malweise dieses Grauen.
Was ist die Intention, Gesinnung von Ästhetik, wenn sie nicht „Art pour Art“ sein soll, sondern Energie für Lebendiges, Empfindsames. Es ist das freie eigenständige Sehen ohne Dogmen, Ideologien. Es ist Erregung (im Sinne von Malewitsch) unsere konkrete existenzielle Empfindung. Es ist diese „Präsenz“ (Titel einer ganzen Reihe von Fruhtrunks Bildern) *2, die uns diese Verantwortung abverlangt.
Heute sind wir inmitten der Konflikte zwischen Doktrinen, Ideologien, Technologien, ökonomischen Wachstum und Umweltzerstörung, wo Verantwortung und das Wissen von Wirkungen verdeckt bleiben. In unserer von der Technologie weitergetriebenen Zeit werden Verantwortung und Selbstbesinnung ignoriert. Wir erleben dies mit Beunruhigung und stehen hilflos dem Wahnsinn der Kriege und der Zerstörung unserer Welt gegenüber. Die warnenden Reflektionen kann man in Fruhtrunks Vortragsreihe „Individuum – Zeit und Zukunft“ lesen. *3
Die Dringlichkeit den Abbruch eines so sprechenden, einzigartigen Kunstwerkes, das uns durch Rhythmus und Farbe belebt, zu verhindern, muss unser aller Sorge sein. Es wäre sonst ein nicht wiedergutzumachender Verlust.
Ich möchte mit einem weiteren Zitat von Günter Fruhtrunk meinen Aufruf beenden:
„Rhythmus ist überzeugte Wirkung, ist seelische Wirkung, Freude, Leid, Anklage, Rebellion, Hoffnung und Enttäuschung.“ *1
*1 = „Günter Fruhtrunk – Gespräch mit Eugen Gomringen“, Josef Keller Verlag
*2 = „Günter Fruhtrunk – Werkverzeichnis der Bilder 1952-1982“, Hatje Cantz Verlag
*3 = „Günter Fruhtrunk – Retrospektive“, Prestel Verlag