© WONGE BERGMANNSchön, aber vermutlich nicht echt: Eines der rund vierhundert beschlagnahmten Bilder soll ein Malewitsch sein.
Seit dem Fall des Kunstfälschers Wolfgang Beltracchi ist man einiges gewöhnt, aber einen derart massiven Aufmarsch der Polizei gegen Kunstfälscher wie jetzt hat es noch nicht gegeben: Bei Einsätzen, die vorgestern und gestern in mehreren deutschen Städten stattfanden, durchsuchten mehr als hundert Beamte des Bundeskriminalamts insgesamt achtundzwanzig Wohnungen, Lager, Büros und Galerien in Wiesbaden, Mainz, Stuttgart, München, Hamburg und Köln. Gleichzeitig fanden Durchsuchungen in Israel und der Schweiz statt. In Wiesbaden wurden zwei Personen im Alter von siebenundsechzig und einundvierzig Jahren verhaftet. Es handelt sich um einen Deutsch-Tunesier und einen Israeli, teilte das Bundeskriminalamt im Gespräch mit dieser Zeitung mit.
Weitere Tatverdächtige stammen aus Russland. Ihnen wird vorgeworfen, Mitglieder eines internationalen Fälscherrings zu sein, der über Jahre Gemälde der russischen Avantgarde – darunter Arbeiten von Natalia Gontscharowa, Malewitsch, Kandinsky, Jawlensky und Larionow – verkauft haben soll, vor allem an private Sammler. Die Arbeiten sollen vor allem anlässlich von Galerieausstellungen, aber auch in Auktionen gehandelt worden sein. Die Rede ist von insgesamt vierhundert gefälschten Werken, die für vier- bis siebenstellige Summen verkauft wurden. Allein die jetzt Verhafteten sollen in den vergangenen zwei Jahren gefälschte Gemälde im Wert von mehr als zwei Millionen Euro an deutsche und spanische Händler und Sammler verkauft haben.
Omertà in der Kunstwelt
Man hatte sich schon gewundert, dass nach dem großen Fälschungsskandal um Wolfgang Beltracchi und seine Komplizen auf dem Kunstmarkt wieder alles so zu laufen schien wie immer: Die Auktionshäuser meldeten Rekorde, der Handel schien die Krise, in die der brillante Fälscher sie gestürzt hatte, selig vergessen zu haben.
Man wandert zwar mit geschärftem Blick über Messen und durch Museen. Man steht im Pariser Musée Marmottan in der schönen Ausstellung mit Werken von Marie Laurencin und staunt über das Porträt eines Mannes, der mit einem für das Jahr 1913 unüblich weit aufstehendem Hemd so hippiesk elegant an der Wand lehnt, dass man es, wenn es nicht offiziell Nils von Dardel darstellte, glatt für das Selbstporträt des jungen Wolfgang Beltracchi halten könnte, der dem Werk von Marie Laurencin ja bereits einige sehr schöne postume Neuzugänge verschafft hatte. Neben dem Dardel-Porträt hängt ein Schild, das die Provenienz des Werks als ehemals „Galerie Alfred Flechtheim, Berlin-Düsseldorf“ ausweist. Anfrage im Museum: Ob man mehr über die Geschichte des Bildes wisse? Keine Antwort. Auch anderswo: kein Interesse. Omertà in der Kunstwelt.
Viele Zufälle
Aber dann tat sich hinter den Kulissen des Kunstmarkts doch Einiges: Ende Mai dieses Jahres wurde die bei New York lebende Kunsthändlerin Glafira Rosales festgenommen; sie soll insgesamt dreiundsechzig gefälschte Gemälde unter anderen von Robert Motherwell, Mark Rothko und Basquiat über zwei Galerien – darunter die ehemals ehrwürdige Knoedler Gallery in New York, die wegen des Falls schließen musste – in den Kunstmarkt und mehr als zwölf Millionen Dollar an der Steuer vorbei auf spanische Konten gebracht haben.
Ihr Lebensgefährte stammt aus Spanien und war schon vor Jahrzehnten in Prozesse um Kunstfälschungen verwickelt, die nur eine knappe Autostunde vom Wohnsitz der Beltracchis in Südfrankreich stattfanden. Eine Verbindung zwischen beiden Fällen wurde nicht angenommen, obwohl die amerikanischen Ermittler über den Zufall staunten, dass zeitgleich zwei hochbegabte Fälscher mit der gleichen Methode – man erzählt renommierten Experten eine brillante Geschichte von einem Verwandten, der in aller Heimlichkeit bedeutende Kunstwerke hortete und erschafft so die Legende einer unbekannten Meistersammlung – ihre Fälschungen ins Herz des Markts schleusen und dies auch noch in der selben Region am Mittelmeer planten. Zufälle gibt es.
Unruhige Monate für den Kunsthandel
Experten waren nach Aussagen der Ermittler gegenüber dieser Zeitung auch im Spiel, als die jetzt festgenommenen Fälscher ihre Werke marktglaubwürdig bekommen wollten. Einen Malewitsch stellt man nicht einfach mit Preis ins Internet, man braucht Zertifikate, Gutachten. Diese kann man natürlich auch fälschen und das gefälschte Werk mitsamt den gefälschten Papieren an einen gutgläubigen Sammler in Australien verkaufen. Aber so verliefen die Vorgänge im neuen Fall offenbar nicht.
Hinweise, die die Ermittlungen auslösten, kamen offenbar aus Israel und der Schweiz, es sind laut Aussagen des Bundeskriminalamts renommierte Galerien, Händler und Experten betroffen, Namen werden wegen noch laufender Ermittlungen nicht genannt. Am Rande eines Fototermins in Wiesbaden, bei dem ein vermutlich gefälschter Malewitsch und eine beeindruckende Masse verpackter Kunstwerke präsentiert wurden, teilten Mitarbeiter des Bundeskriminalamts mit, man vermute, die gefälschten Bilder seien in Israel gemalt worden. Die Frage, ob auch Bilder in Museen beschlagnahmt wurden, verneinte die Pressesprecherin des BKA in Berlin, das ebenfalls in den Fall eingebunden ist, im Gespräch mit dieser Zeitung.
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In den kommenden Tagen werden die beschlagnahmten Werke analysiert werden. Auf den Kunsthandel kommen unruhige Monate zu: Wer sind die Fälscher? Wer ihre Komplizen? Wer die Opfer? Wer die betroffenen Händler, wer die Experten? Die Hoffnung, dass die Erschütterungen der jüngsten Fälschungsfälle sich vom Leuchten der gehandelten Bilder und dem Rauschen der Geldmengen übertönen lassen, ist gescheitert.
Quelle: F.A.Z.
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